Ich habe ein Verhältnis. Mit einer 625 Jahre alten Dame. Mit Carola. Zugegeben: Der Altersunterschied lässt sich nicht leugnen. Aber die Gute ist bei aller Lebenserfahrung so lebhaft und offen, sie steckt so voller überraschender Ideen und interessanter Fragen, dass ich ihn manchmal glatt vergesse. Als Psychologe befasse ich mich gerne mit Beziehungen, besonders mit außergewöhnlichen. Und die zwischen Carola und mir interessiert mich natürlich ganz besonders.
Meine erste Begegnung mit Carola: 1986 auf dem von Manfred Amelang organisierten nationalen Psychologenkongress – eine knappe Woche im Heidelberger September, bei schönem Herbstwetter. Für mich als Jungwissenschaftler, dessen Promotionsschrift 1986 bei Springer (in Heidelberg!) erschien, eine wunderbare Erfahrung! Hier zu arbeiten müsste das Paradies sein … Aber erstmal musste ich mich an meiner damaligen Uni Bonn habilitieren. Carola verschwand aus meinen Gedanken, brachte sich aber bald wieder in Erinnerung: 1992 lockte sie mich mit einer C3-Professur für Allgemeine Experimentelle Psychologie und verschmähte mich dann doch. Im Winter 1994 ließ sie noch einmal ihre Reize spielen: Die C4-Professur für Allgemeine und Theoretische Psychologie (Nachfolge Groeben) wurde ausgeschrieben, und ich umwarb sie erneut. Wiederum kam ich nur auf Platz 2 hinter Elke van der Meer. Die aber lehnte ab, und so kam endlich der Ruf des damaligen Wissenschaftsministers Klaus von Trotha zu mir. Nach kurzen Verhandlungen fing ich zum 1.4.1997 an meiner hoch geschätzten Ruperto Carola an zu arbeiten. Wenn man sich dann etwas länger kennt: Na ja, Paradies ist etwas anderes. Aber es hat ja auch keiner gesagt, dass Carola jeden Tag gleichbleibend bezaubernd, lustig und charmant ist. Bei so vielen Facetten müssen auch ein paar dabei sein, die weniger glänzen.
Gab es auch andere Beziehungen neben der zu Carola? Zum Jahrtausendwechsel hatte ich eine Liebelei mit einer Sächsin – die TU Dresden bot hervorragende Arbeitsmöglichkeiten und rief mich ins Elbflorenz. Am Ende hat meine Carola dann aber auch in die Schatulle gegriffen und mir den Verbleib an ihrer Seite schmackhaft gemacht.
Was mich an dieser Universität fasziniert, ist ihre große Bandbreite an Themen und die Vielfalt interessanter Persönlichkeiten, die hier in Lehre und Forschung tätig sind (und waren – wie z.B. der Gründungsvater der modernen Psychologie Wilhelm Wundt oder Carl Friedrich Graumann, der die Ökologie menschlichen Erlebens und Verhaltens betont hat). Dies schlägt sich für mich in vielfältigen persönlichen Beziehungen zu den Vertretern anderer Fächer nieder, von denen ich mich anregen lasse und mit denen ich gelegentlich kooperiere. Mit dem Ethnologen Jürg Wassmann habe ich z.B. Seminarsitzungen abgehalten, in denen wir uns – sehr zur Freude der Studierenden – über die Methoden unserer Fächer gestritten haben. Mit dem Kunsthistoriker Raphael Rosenberg bin ich in einem gemeinsamen Seminar in die Tiefen von Kunst und Psychologie versunken, einfach herrlich!
Ruperto Carola: Das ist ein Vollweib! Eine „comprehensive university“! Eine, die in die volle Breite geht! Eine, an der was dran ist! Und sie hat viele Geschichten zu erzählen, über die Zeit der Romantik, die Zeit der aufblühenden Naturwissenschaften mit den ersten Nobelpreisen, die Studentenrevolution in den 1970er Jahren … Das Unileben unter dem Vorzeichen „semper apertus“ und dem Motto „Dem lebendigen Geist“: Das ist eine Aufforderung zu lebenslanger Kreativität in der Tradition der Aufklärung.
Ja, ich bin stolz auf meine Ruperto Carola! Die alte Dame hat mich ganz schön in ihren Bann gezogen. Auch wenn sie manchmal grantelt: Es ist großartig, hier als Teil von ihr zu arbeiten. Deswegen ist ein neutraler Blick auf mein Verhältnis zu ihr kaum möglich – Liebe macht bekanntlich blind! Dass Carola schon 625 Jahre alt ist, trage ich ihr nicht nach. Für mich ist sie eine junge Lady, mit der ich noch so einiges vorhabe!
(veröffentlicht in „Heidelberger Jahrbücher“, Band 55, 2013)
Anmerkung zur Entstehungsgeschichte: Dieser Beitrag ist schon vor über 2 Jahren geschrieben worden. Damals war geplant, anläßlich des 625jährigen Jubiläums unserer Uni im Jahre 2011 einen besonderen Band der regelmäßig erscheinenden „Jahrbücher“ herauszubringen: nicht einen weiteren Themenband, wie ihn die letzten Ausgaben vorgesehen hatten, sondern einen Band, in dem sich Professorinnen und Professoren dieser Universität nach eigenem Gusto auf zwei Seiten präsentieren sollten. Im Hinterkopf hatte ich dabei den von Annette Kämmerer und mir herausgegebenen Band „Seelenlandschaften„, in dem wir knapp 100 Professorinnen und Professoren der Psychologie in Selbstdarstellungen auf jeweils 2 Seiten versammelt hatten.
Nun liegt Band 55 der Heidelberger Jahrbücher auf dem Tisch. Darin stellen sich rund 100 aktive Heidelberger Wissenschaftler in kurzen, sehr persönlich gehaltenen Porträts vor. In unterhaltsamer Weise schildern sie ihren Lebensweg und ihr Verhältnis zur Universität Heidelberg. Das so entstandene Mosaik aus Prosatexten, Abbildungen und Fotos zu den Porträtierten zeigt die Vielfalt unserer Universität, einer echten Voll-Universität. Aus der Psychologie sind dabei Sven Barnow, Joachim Funke, Annette Kämmerer, Birgit Spinath und Andreas Voß, aus dem weiteren Kreis unserer Fakultät Andreas Kruse, William Sax und Johannes Schröder.
Tatsächlich hat sich das Erscheinen verzögert, da wir zwischenzeitlich unseren Vertrag mit Springer gekündigt hatten und das ganze Projekt nun im Selbstverlag betreiben. Zudem war der Prozess des Einsammelns von Texten mit vorgeschrieben maximaler Länge und mit gutem Foto des Autors eine harte Geduldsprobe für die beiden Band-Herausgeber Markus Hilgert und Michael Wink – besten Dank für ihre Mühen!
Als das für diese Buchreihe verantwortliche Vorstandsmitglied der „Gesellschaft der Freunde“ bin ich stolz auf das Ergebnis! Der Band liegt nun jedenfalls auf dem Tisch und wird demnächst in der UB vorgestellt. Er ist für 18,70 € im Buchhandel oder direkt in der Geschäftsstelle der „Gesellschaft der Freunde“ erhältlich. Übrigens: Mitglieder der „Alumni Psychologici“ erhalten auf Anfrage ein Exemplar kostenlos.
Frühere Themenbände unserer Reihe: Rausch (1999), Kreativität (2000), Milieu+Vererbung (2001), WahnWeltBild (2002), Weltbilder (2003), Konflikt (2004), Bildung und Wissenschaft (2005), Gesundheit (2006), 200 Jahre Heidelberger Romantik (2007), Überzeugungsstrategien (2008), Sprache (2009) – sind online über die Universitätsbibliothek Heidelberg verfügbar. Siehe http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/epubl/hdjb/.
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