Freunde des Lions Club Heidelberg haben ein sehr schönes Buch über Heidelberg herausgegeben unter dem Titel „Heidelberg – Die Stadt, in der wir leben“. Der im Waldkirch-Verlag erschienene Band ist reichhaltig und toll bebildert und enthält auf 256 Seiten viele Kapitel, die ganz unterschiedliche Seiten Heidelbergs beleuchten.
Unter dem Titel „Die Geisteswissenschaften erfüllen die Altstadt“ habe ich zu diesem Buch einen kleinen Text beigetragen, der wie folgt beginnt:
„Dem lebendigen Geist“ – so lautet das Motto über dem Eingang zum zentralen Vorlesungsgebäude der Ruperto Carola am Universitätsplatz. Diese Steilvorlage für die Geisteswissenschaften stammt von Friedrich Gundolf, einem der bedeutenden Germanisten (1880-1931) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ob Shakespeare, Heinrich von Kleist oder Goethe: Gundolf stellte den Künstler und das Wirken seiner Werke in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Traditionell haben die Geisteswissenschaften an der Volluniversität Heidelberg (zu der sie erst im 19. Jahrhundert geworden ist) eine große Rolle gespielt.
Geht man in der Altstadt spazieren, stößt man unweigerlich auf Plätze, an denen die Geisteswissenschaftler gelebt und gearbeitet haben. In der Schulgasse etwa ist das Philosophische Seminar der Universität ansässig, in dem ich vor vielen Jahren Hans-Georg Gadamer (1900-2002) besuchen durfte. Gadamer, der wie kaum ein anderer die Philosophie – für viele Jahrhunderte Königin der Wissenschaften – in Heidelberg repräsentierte, ging es um das Verstehen. Hermeneutik als Lehre des Verstehens setzt auf den Dialog, auf das Gespräch der Seele mit sich selbst, also auf das Denken. Im Jahre 1949 als Nachfolger des nicht minder berühmten Karl Jaspers zum Professor für Philosophie berufen, veröffentlichte Gadamer im Alter von 60 Jahren sein Hauptwerk „Wahrheit und Methode“. Einer seiner Schüler war Jürgen Habermas, der Gadamers dialogische Methode zum herrschaftsfreien Diskurs weiterentwickelte.
Nicht weit davon entfernt trifft man am Universitätsplatz auf die Alte Universität. In der heutigen Alten Aula verkörpern vier runde Deckengemälde die vier Gründungsfakultäten der Ruperto Carola: Die Philosophie, die Theologie, die Medizin und die Rechtswissenschaften. Auch wenn der damalige hohe Anteil der Geisteswissenschaften in der heutigen Zeit nicht mehr erreicht wird (die Naturwissenschaften, die seit den 1970er Jahren überwiegend im Neuenheimer Feld untergebracht, haben nicht nur den größten Flächenbestand, sondern erhalten auch die größte finanzielle Unterstützung), sind es doch heute gerade die kleinen „exotischen“ Fächer wie z.B. die Assyriologie, Ägyptologie oder die Papyrologie, die zum Ruf der „comprehensive university“ (der Volluniversität) beitragen und deutlich machen, dass wir uns der Vorteile unserer Vielfalt bewusst sind und durch die daraus resultieren Interdisziplinarität viele Anregungen schöpfen. Das seit der Exzellenzinitiative der Bundesregierung 2007 existierende Marsilius-Kolleg als Symbol dieses Fächeraustauschs und als Ort disziplinärer Grenzüberschreitungen unterstreicht diesen Anspruch.
Parallel zur Hauptstrasse verläuft Heidelbergs Fahrradstrasse, die Plöck (die aus psychologischer Sicht eine der interessantesten Straßen Heidelbergs ist wegen der ständigen Konflikte zwischen Fußgängern, Auto- und Radfahrern). Eine Gedenktafel am Haus Plöck 48-50, nicht weit entfernt vom berühmten Zuckerladen, macht auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel aufmerksam, der dort von 1816-1818 gewohnt hat – die Erinnerungsplakette hängt heute an der Fassade eines hässlichen Parkhauses. Armer Hegel! Für uns Vorbeistreifende allerdings schön zu wissen, dass der Erfinder des Weltgeists ganz in der Nähe seine Bahnen zog…“
Das Kapitel geht noch ein bisschen weiter – wer Lust auf mehr hat, sollte das thematisch reichhaltige und schön bebilderte Buch kaufen (kostet nur 16,80 €), dessen Erlös einem guten Zweck zukommt.