Heidelberger Poetikdozentur 2012: Patrick Roth

Vom 22.6.-5.7.12 kann man den 1953 in Freiburg geborenen Schriftsteller Patrick Roth wieder einmal in Heidelberg antreffen. Er hat die Poetikdozentur unserer Universität für das Jahr 2012 übernommen und hält in diesem Rahmen drei öffentliche Vorträge. Im Mittelpunkt seiner Vorlesungen steht das Erzählen in Bildern: technische Bilder, die außen – im Film – und mythische Bilder, die innen – im Traum – gefunden werden. Es geht um die Qualität der Bilder, ihre Wirkung auf den Leser und ihre Bedeutung für das Leben des Einzelnen.

Zufällig lese ich gerade sein neues Buch „Sunrise – das Buch Joseph„. Erfundene biblische Geschichten in und um das christliche Jerusalem, in einer bildmächtigen, bibel-artigen Sprache, die zum langsamen Lesen zwingt, aber damit auch starke Eindrücke hinterlässt! Wundersame Träume, die Joseph, Jesus‘ Vater, da hat – dazu grausame Geschichten voller Gewalt, aber auch anrührender Vaterliebe und Liebe zu Maria. Joseph, der seinen ersten Sohn Jesus bei einem Sturm im Meer hat ertrinken lassen, will seinen zweiten Sohn Jesus nicht noch einmal verlieren, obwohl Gott das von ihm als Opfer zu fordern scheint. Stattdessen wird ein anderer Jesus, Sohn eines Räuberhauptmannes, von Joseph getötet. Bibel oder Krimi? Auf jeden Fall wortgewaltig, bildmächtig und fesselnd!

Was mir beim Anhören seiner Poetik-Vorlesung (herrliche Vorlesungstitel: „Bildflamme“, „Stimmenbrunnen“; die Poetikvorlesungen sind übrigens als Videostream verfügbar!) durch den Kopf geht (und was mir nicht gefällt!): selbst in kleinste Kleinigkeiten wird von ihm eine tiefe Symbolik gelegt. Ständig ist die Rede vom Unbewussten (dem „Dreck des eigenen Bergwerks“), das sich überall Ausdruck verschafft. Träume sind allgegenwärtig und spielen eine große Rolle in seinem Weltverständnis. Manchmal wäre es mir lieber, auf eine weitere Deutungsschicht zu verzichten und Ereignisse in ihrer Zufälligkeit zu akzeptieren.

Gut gefallen hat mir sein Vorschlag, literarische Werke (sich selbst) laut vorzulesen – bei Musik liest man ja auch nicht nur die Partitur und stellt sich die Töne im Kopf vor… Eines aber kann ich sicher ausschließen: dass ich – wie er das wohl getan hat – mir den ganzen Band „Schuld und Sühne“ von Dostojewski in einem Stück laut vorlese, ohne zwischenzeitlichen Schlaf und ohne große Unterbrechung.

Die Einrichtung der Heidelberger Poetikdozentur feiert dieses Jahr ihr 20jähriges Jubiläum. Dank an PD Dr. Michaela Kopp-Marx und das Germanistische Seminar, die diese Veranstaltungen koordinieren! Ich halte es mit John Searle: Wieviel mehr Seiten Fiction im Vergleich zu Science habe ich in meinem Leben gelesen! Und wer weiss, wieviel Seiten Science nicht auch Fiction waren? Ein Leben ohne Bücher, ein Leben ohne Schriftsteller: für mich nicht vorstellbar! Wie schön, dass Autoren, deren Bücher ich gerne lese, nach Heidelberg kommen, Vorlesungen abhalten und uns einen Einblick in ihre Produktionsweise und ihr Selbstverständnis als Literaten geben!

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