Der Heidelberger Konfliktforscher Frank Pfetsch hat 1992 eine Datenbank angelegt, in der alle weltweit vorkommenden Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen oder Staaten erfasst sind. Dieses sogenannte Konfliktbarometer (heute vom Kollegen Aurel Croissant weitergeführt) wertet öffentlich zugängliche Quellen aus und bewertet die identifizierten Konflikte auf einer fünfstufigen Skala.
Seit seiner Erstellung im Jahr 1992 ist dieses Konfliktbarometer jährlich durch Ehrenamtliche aktualisiert worden und hat auch rückwirkend Konflikte bis zurück in das Jahr 1945 erfasst. Gerade sind die aktuellen Daten für das Jahr 2011 ausgewertet und veröffentlicht worden. Was ist der Stand der weltweiten Konflikte? Die schlechte Nachricht: es ist nicht friedlicher geworden! Derzeit 20 (!) Kriege: das sind 14 mehr als 2010 und insgesamt so viele wie seit 1945 nicht mehr! Unglaublich!
Warum ich mich als Denkpsychologe dafür interessiere? Diese Konflikte sind das, was wir in der Forschungsszene „Komplexe Probleme“ nennen: Es sind viele Variablen beteiligt, eine Reihe von Einflussfaktoren sind intransparent, die Situationen sind teilweise sehr dynamisch und verändern sich von Tag zu Tag, und vor allem sind derartige Konflikte polytelisch, d.h. vielzielig. Vielzieligkeit bedeutet, dass es nicht ein einziges Kriterium gibt, das man optimieren sollte, sondern es gibt sehr viele Kriterien zur Beurteilung möglichen Fortschritts – und manche davon stehen im Widerspruch zu anderen.
Solche Zielkonflikte sind außerordentlich schwierig zu lösen – es geht dabei um Wertvorstellungen, die gelegentlich unvereinbar scheinen. Der Streit um die Kriterien Ökonomie und Ökologie z.B. ist vor vielen Jahren als Konflikt gesehen worden, bis man erkannte, dass die beiden Ziele durchaus in Einklang zu bringen sind. Heute gibt es einen großen Markt für ökologisch ausgerichtete Produkte, auf dem viel Geld bewegt und verdient wird.
Die Zielkonflikte, die im Barometer angezeigt werden, handeln von Umsturzbewegungen („Arabischer Frühling“), von islamistischen Glaubenskämpfen, Stammesfehden in Ostafrika, Drogenkriegen in Lateinamerika und generell sozio-öokonomischen Verwerfungen. Probleme, die aufgrund ihrer langen Dauer häufig „verkrustet“ sind und für die es keine Patentrezepte zu geben scheint.
Wenn wir als Psychologen das Wort „Konflikt“ hören, fällt uns sofort „Mediation“ ein. Was wir auf der Ebene von Paarbeziehungen etwa bei Scheidungsverfahren inzwischen erfolgreich praktizieren, wo Mediation zu einer fairen Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen führt, ist auf der Ebene von staatlichen Beziehungen ungleich schwieriger. Die UN versucht sich ja als Mediationsinstanz, bleibt aber oft hinter den Erwartungen zurück. Hier liegt sicher ein großes Potential verborgen.
Auf jeden Fall brauchen wir mehr Konfliktforschung – Simulationsumgebungen wie z.B. PeaceMaker (siehe dazu meinen zurückliegenden Blog-Eintrag Spiel und Ernst im Serious Game “PeaceMaker”) erlauben es, in spielerischer Form psychologische Hypothesen über konfliktverstärkende oder konfliktabschwächende Massnahmen zu überprüfen. More research is needed!