Wieder einmal lockten uns – meinen Mitarbeiter Dr. Samuel Greiff und mich – PISA-Vorbereitungen nach Australien, genauer gesagt nach Melbourne, wo der australische Erziehungsrat ACER (=Australian Council on Educational Research) seinen Sitz hat und Vorbereitungen für die nächste PISA-Runde trifft. PISA erhebt in 2012 wieder einmal weltweit die Leistungen 15jähriger Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Reading, Mathematics, Science UND Problem Solving (erstmals computerbasiert).
Das PEG-Meeting (PEG ist eine Abkürzung für „Problem Solving Expert Group“) vom 26.-29.9.11 diente dazu, die Ergebnisse des in 2011 durchgeführten PISA Field Trials (also des Vorlaufs für die Hauptuntersuchung in 2012) zu besprechen und die endgültigen Planungen bezüglich der Item-Auswahl zu beschließen. Im Feldtest haben knapp 26.000 Schüler aus 28 Ländern unsere Aufgaben pilotiert, bevor dann in der Main Survey 2012 eine wesentlich größere Zahl an Schülern aus ca. 60 Ländern getestet werden (an PISA 2012 werden über alle Domänen hinweg ca. 500.000 Schüler aus aller Welt teilnehmen). Amazing!
An der PISA PEG bin ich seit nunmehr zwei Jahren (genauer: seit September 2009) als Mitglied beteiligt – seit 2010 bin ich auf Vorschlag von Ray Adams (ACER Melborne) von der OECD zum Vorsitzenden („chair“) dieser Gruppe ernannt worden. Große Freude über die Ehre, von den Experten meiner (sehr netten) Gruppe (siehe das Foto mit meiner Gruppe – Rich Mayer, Univ of California Santa Barbara, is missing) als „primus inter pares“ auserkoren zu sein, verbunden mit erheblicher Reisetätigkeit, um Abstimmungen und Planungen mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen auf internationaler Ebene vorzunehmen.
Was das bedeutet? Vor allem bedeutet das Arbeit am sog. PISA Problem Solving Framework, mit dem die Domäne Problemlösen definiert wird, und Arbeit an den Meßinstrumenten sowie den Datenauswertungen – daneben viel Reisetätigkeit, um unsere Konzeption an den verschiedensten Stellen (z.B. den Vertretern der OECD-Partnerländer) verständlich zu machen. Es bedeutet daneben auch die Möglichkeit, unsere Heidelberger Vorstellungen (MicroDYN und MicroFIN) über die psychometrisch fundierte Erfassung von interaktivem, dynamischem Problemlösen aus der konzeptionellen Ebene auf diejenige der praktischen Anwendung zu heben. So große Stichproben haben wir noch nie gehabt, wie sie hier anfallen! Noch wichtiger als die großen Stichproben ist mir der konzeptuelle Wechsel von statischem zu dynamischem interaktiven Problemlösen: Wir haben damit weltweit einen Wechsel in der Betrachtungsebene bewirkt, der m.E. nicht hoch genug bewertet werden kann: It’s interaction that counts!
Interessant: Anläßlich eines Vortrags von Samuel und mir an der Melbourne University in der Arbeitsgruppe von Patrick Griffin haben wir eine Kooperation bezüglich Collaborative Problem Solving vereinbart, der Domäne, die in PISA 2015 erstmals erhoben wird (ein spezieller Blog-Eintrag dazu ist in Vorbereitung). Obwohl wir ausser ein paar guten Ideen (und fundieter Kritik an den Vorstellungen anderer Gruppen) noch keine empirischen Resultate haben, war unsere Präsentation offensichtlich ausreichend, um weitere Arbeit vielversprechend zu betreiben. Die Achse Melbourne-Heidelberg wird damit erneut gestärkt – die Zusammenarbeit mit Alex Wearing, die neben Alex‘ Beitrag (zusammen mit Dietrich Dörner) für das Buch „Complex Problem Solving: The European Perspective“ von Peter Frensch und mir in einer Arbeit von Annette Feuchter und mir über Loafing beim Complex Problem Solving gemündet ist, findet damit angemessene Fortsetzung. Meine Gastprofessur an der Uni Melbourne, die ich im Sommer 2006 wahrgenommen hatte (und während der ich im herrlichen Ormond-College wohnen durfte), könnte vielleicht nochmal wiederholt werden…
Mit dieser Konferenz geht zugleich mein Forschungssemester im SS 2011 zu Ende. Ich bin viel gereist (Luxembourg: TAO-Days; Szeged, Ungarn: SWEE Conference; New Orleans, USA: AERA Conference; Banff, Canada: Summerschool on Climate Engineering; Nanjing, China: 2 Wochen Gastprofessur; Melbourne, Australien: ACER-Meeting – die inländischen Reisen nicht gezählt), habe einiges geschrieben (und publiziert) und ein paar neue Erkenntnisse gewonnen – eine Ausbeute, mit der ich sehr zufrieden bin (auch wenn es natürlich noch mehr hätte sein dürfen). Forschungssemester heisst ja nicht Urlaubssemester oder Freisemester, sondern soll eine Konzentration auf Forschung erlauben, die durch den Lehrbetrieb doch häufig unterbrochen wird. Die alle vier Jahre möglichen „sabbaticals“ sind m.E. eine ausgezeichnete Möglichkeit, einmal wieder durchzuatmen und den Alltagstrott zu durchbrechen.
siehe auch den älteren Blog-Eintrag „The Melbourne Experience“, https://joachimfunke.de/2010/02/12/the-melbourne-experience/