Die interdisziplinäre Marsilius-Vorlesung 2009 von Dieter Grimm (Humboldt-Universität zu Berlin) stand unter dem Thema „Die Kunst ist frei – aber was ist Kunst?“. Der ehemalige Verfassungsrichter hob in seinem spannenden Vortrag zunächst das grundgesetzlich gesicherte höhere Schutzniveau der Kunst (und der Wissenschaft!) gegenüber anderen Grundrechten (z.B. der Meinungsfreiheit) hervor – aber auch Kunst ist natürlich nicht völlig frei! Der Sprayer von Zürich, Maxim Billers Roman „Esra“, der Tucholsky-Ausspruch „Soldaten sind Mörder“: Beispiele für mögliche Grenzverletzungen?
Für die Frage, wie man Kunst von Nicht-Kunst abgrenzen könne (z.B. wenn jemand für sich und sein Werk besondere Schutzrechte für Kunst verlangt), benötigt ein Richter externen Sachverstand – doch ausgerechnet die moderne Kunsttheorie verweigert hier eine Grenzziehung. Der Richter steht damit vor einer paradoxen Situation: die Rechtsanwendung verlangt Deutung, aber Kunstwerke sind mehrdeutig.
Grimm sprach sich für eine im Zweifel liberale Haltung aus, ließ aber die Zuhörer mit dem abschließenden Satz etwas ratlos zurück: „Spannungen zwischen Recht und Kunst müssen ausgehalten werden.“
Ein Vortrag, den ich nicht nur wegen meines Interesses an Kunst interessant fand – exemplarisch verdeutlicht das gewählte Thema auch die Spannungen des interdisziplinären Austauschs: wenn der Richter vom Kunstwissenschaftler etwa eine exakte Definition von Kunst verlangt und der Kunstwissenschaftler vom Juristen wissen will, wofür er diese Exaktheit braucht, können schnell Mißverständnisse entstehen. Da hilft nur eines weiter: Dialog!
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