In der FAZ erschien dieser Tage ein Beitrag „Warum ich meinen Lehrstuhl räume“ des Mainzer Theologen Marius Reiser, in dem dieser sein Unbehagen mit der Bologna-Reform darstellt. Die Verwandlung der Universität in eine Lernfabrik („Tretmühle“) nimmt dieser die Freiheit, die konstitutiv für diese Institution war (und sogar grundgesetzlich geschützt ist: GG Art 5 Abs 3 bestimmt die Freiheit von Lehre und Forschung).
Nachdem der Widerstand der Juristen inzwischen auch gekippt scheint [auf der Ministerebene jedenfalls – in den Instituten formiert sich der Widerstand und ich habe schon von Heidelberger Kollegen interessante Pläne vernommen, auf deren Umsetzung ich sehr gespannt bin :-)], sind es wohl nur noch die Mediziner, die ausserhalb von Bachelor und Master stehen. Wenn dann alle Fächer umgestellt sind, kann man ja die Rolle rückwärts versuchen und die Stärken des alten Systems wieder in Angriff nehmen – so hält uns St. Bürokratius auf Trab.
Wie kommen wir aus der (verständlichen) Sekundärsteuerung der Studierenden („wo bitte gibts hier die Leistungspunkte?“) wieder heraus zu einer eigengesteuerten intrinsischen Motivation? Eine Antwort könnte z.B. darin bestehen, mit den Leistungspunkten liberaler umzugehen. Das würde Vertrauen voraussetzen, dass die dadurch entstehenden Freiheiten nicht für völlig andere Dinge verwendet werden. Es würde damit wieder Verantwortung in die Hände der Studierenden zurückgelegt, selbst zu entscheiden, wie sie mit ihrer Freiheit umgehen.
Diese Verantwortungsübernahme, die wir in den stark strukturierten Studiengängen den Studierenden ein Stück weit abgenommen haben, ist ja eigentlich auch ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsbildung und -entwicklung, die in dieser Lebensphase erfolgen sollte. Universitäten sind eben nicht Lernfabriken, sondern sollten auch Orte der Identitätsfindung und der Vorbereitung auf Verantwortungsübernahme sein – das muss man einüben! Ich möchte kein akademisches Proletariat ausbilden, das in Unternehmen, Kliniken usw. blinde Handlanger-Dienste leistet, sondern möchte Persönlichkeiten sehen, die als Intellektuelle mit priviligiertem Zugang zu den Schätzen unserer Wissensgesellschaft an der Lösung globaler Probleme mitwirken und gesellschaftliche Verantwortung in ihrem Einflußbereich übernehmen. „Go for leadership“, wie Bob Sternberg sagt.
Der Mainzer Theologe hat meinen Respekt! Was mich betrifft: Ich habe nicht vor, meinen Lehrstuhl zurückzugeben – aber ich bin auf der Seite derer, die aus der Bologna-Tretmühle wieder ein Stück zurück zum Humboldt’schen Bildungstempel wollen.
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