DRK-Projekt „Hotline-Auskunft“ verlängert

DRK LogoDass die Psychologie auch eine angewandte Seite hat, ist kein Geheimnis – dass die Allgemeine und Theoretische Psychologie mit ihren Konzepten auch Anwendung betreibt, ist vielleicht weniger bekannt. Seit nunmehr einem Jahr ist das vom Deutschen Roten Kreuz finanzierte Projekt Hotline-Schulung in der Hand von Dipl.-Psych. Lutz Lyding erfolgreich betrieben und daher jetzt auch verlängert worden. Hier ein Ausschnitt aus der jüngsten Presseerklärung:

Ein praxiserprobtes Hotline-Trainingskonzept, das Mitarbeiter fit macht für Telefonate mit betroffenen Angehörigen nach Katastrophen, ist das Ergebnis der interdisziplinären Promotionsarbeit von Lutz Lyding über komplexes Problemlösen am Lehrstuhl für Allgemeine und Theoretische Psychologie bei Prof. Dr. Joachim Funke in Kooperation mit der Uniklinik Heidelberg, Sektion Psychotraumatologie von Prof. Dr. med. Günter H. Seidler und dem Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Hörl.

„Ein Kreuzfahrtschiff wurde von Terroristen entführt und explodierte im Hafenbecken. Mehrere tausend Menschen sind direkt betroffen“. Wer beantwortet die Anrufe der tausenden von Angehörigen, die sich in dieser Situation um ihre Lieben Sorgen machen? Bei solchen Großschadensereignissen (z.B. Tsunami, ICE-Unglück, Flugzeugabsturz) wird u.a. der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes aktiv. Deutschlandweit ist es die Aufgabe von über 500 Kreisauskunftsbüros, nach Katastrophen Suchanträge von Angehörigen aufzunehmen und so Familien wieder zusammen zu führen. Bei Katastrophen sind oft Grossniederlassungen von Wirtschaftsunternehmen betroffen, deren Telefone dann ‚heiß‘ laufen. Wie können Mitarbeiter optimal auf diese schwierige Aufgabe vorbereitet werden?

Ein praxiserprobtes Hotlinetrainingskonzept, das Einsatzkräfte fit macht für Telefonate mit betroffenen Angehörigen nach Großschadensereignissen, ist das Ergebnis der Promotionsarbeit über komplexes Problemlösen von Lutz Lyding bei Prof. Dr. Joachim Funke. Solide Ausbildungskonzepte für Katastrophenhelfer sind gefragter denn je. In Zeiten zunehmender Großschadensereignissen sehen außer Polizei, Feuerwehren und Hilfsorganisationen auch immer mehr Wirtschaftsunternehmen die Notwendigkeit, auf den Ernstfall gut vorbereitet zu sein. Das hat ein Telefonbenchmark ergeben, das Lutz Lyding im Oktober 2006 bei knapp 200 Behörden, Aktiengesellschaften (DAX 50) und Hilfsorganisationen durchgeführt hat. Das Ergebnis: Es gab bis dato kein wissenschaftlich evaluiertes Trainingskonzept, mit dem Mitarbeiter auf die Aufgabe ‚Personenauskunft‘ vorbereitet werden konnten.

Das vorliegende Hotlinetrainingskonzept vereint die ‚best practice‘ von erfahrenen Einsatzkräften und betroffenen Angehörigen mit aktuellen Forschungsergebnissen der letzten 10 Jahre aus den Bereichen ‚komplexes Problemlösen‘, Psychotraumatologie, Stressbewältigung, Disaster Management und Kommunikationspsychologie. Orientiert an den zeitkritischen Realitäten des Krisenmanagements, werden in einem Grundmodul an nur
einem Tag die für einen Hotline-Einsatz wesentlichen Fertigkeiten vermittelt. Bei zur Verfügung stehenden Zeitressourcen lässt sich das Grundmodul durch Real-Trainingsmodule und Aufbaumodule beliebig auf bis zu fünf Tage erweitern. Inhaltliche Kernelemente des Grundmoduls werden in Form von Lern- und Praxiseinheiten trainiert.

In Einheit 1 werden die Teilnehmer ohne Voreinweisung direkt mit realen Anrufern konfrontiert (‚ins-kalte-Wasser-Methode‘). Auf Basis von Angehörigeninterviews im Juli 2007 wurde dafür eine Anrufertypologie erstellt. Die Typologie enthält die am häufigsten vorkommenden Problemstellungen an einem Angehörigentelefon. Diese Anrufertypologie liegt in Form von Rollenprofilen vor, mit Hilfe derer ein Berufsschauspieler realistische Anrufe via Telefonanlage simuliert. – Einheit 2 vermittelt den zukünftigen Telefonisten Basiswissen aus den Bereichen Disaster Management und Psychotraumatologie. Es wird interaktiv dargestellt, welche Elemente typisch für alle Katastrophen sind. Anhand von Traumaphasenmodellen werden normale Reaktionen von Angehörigen nach Disastern nachempfunden. – Ziel der Einheit 3 ist es, konkrete Handlungsempfehlungen für die Annahme von Telefonaten zu geben. Dies geschieht in Form einer – auf den Hotlinebetreiber zugeschnittenen – Heuristik, die als Gesprächsleitfaden durch das Gespräch leitet. Die Heuristik verknüpft erfolgreiche Strategien von erfahrenen Einsatzkräften (Quelle: Experteninterviews), mit Formulierungsempfehlungen auf Basis kommunikationspsychologischer Forschung. Aus der komplexen Problemlöseforschung weiß man, dass die Nutzung von Heuristiken das Belastungserleben von Akteuren verringert und deren Handlungskontrolle erhöht. Außerdem sind Menschen, die Heuristiken benutzen, in der Aufgabenbewältigung schneller und effektiver. – Einheit 4 besteht aus weiteren realistischen Anrufsimulationen durch einen Berufsschauspieler. Teilnehmer können in dieser Einheit theoretisch Verstandenes praktisch anwenden und explorieren. – Einheit 5 befasst sich schließlich mit der Frage, wie traumatischer Stress beim Hotline-Einsatz adäquat bewältigt werden kann. Mit Gruppenübungen, Vermittlung theoretischer Inhalte aus der Stressforschung und praktischen Handlungsempfehlungen wird den Teilnehmern einen Werkzeugkasten an die Hand gegeben. Diese Werkzeuge verringern einsatzbedingte Belastungsstörungen und erhalten Mitarbeiter einsatzfähig.

Das Trainingskonzept konnte im ersten Quartal 2008 erfolgreich evaluiert werden. Die Teilnehmerstichprobe dafür bestand aus knapp 100 Studenten sowie aus über 170 Einsatzkräften des Deutschen Roten Kreuzes in Mainz, Hamburg, München und Berlin.

zur Pressemitteilung: http://www.uni-heidelberg.de/presse/news08/pm280602-3kat.html

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