Am 21.7.2013 ist Theo Herrmann, emeritierter Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Mannheim, „nach kurzer, schwerer, mit großer Würde ertragener Krankheit“ (so die Traueranzeige) verstorben. Geboren 1929, hat er nach dem Krieg in der wiedereröffneten Mainzer Universität von 1950-1954 Psychologie studiert, habilitierte sich dort 1963 und wurde 1964 an die TU Braunschweig berufen. 1968 ist er an die Uni Marburg gewechselt, bevor er 1977 an die Uni Mannheim berufen wurde, wo er dann bis 1997 die meiste Zeit verbracht hat.
Als ich 1997 nach Heidelberg kam, ist er gerade in Mannheim emeritiert worden. Er kam gelegentlich nach Heidelberg, z.B. im Rahmen der damals noch stattfindenden „Rhein-Neckar-Lahn“-Treffen junger Nachwuchswissenschaftler, wo er sich lebhaft an den Diskussionen beteiligte und beim Post-Kolloquium manche Anekdote erzählte.
Intensiveren Kontakt gabe es später über meine Doktorandin Susanne Guski-Leinwand (heute an der der HSG Bochum als Professorin tätig), die im Rahmen ihrer psychologie-geschichtlichen Forschungen in Theo Herrmann eine wunderbare Quelle gefunden hatte und deren Promotion in Heidelberg er begleitet hat.
Vor nicht allzulanger Zeit hatte ich Theo Herrmann noch in Ladenburg getroffen, wo er über seine letzten psychologie-geschichtlich ausgerichteten Arbeiten erzählte. Sonntags mittags trafen wir ihn öfter – da sass er im Kaffeehaus am Markt, trank ein Schlückchen, aß ein Spiegelei und erzählte von vergangenen Zeiten. Sein letztes Buch, mit Włodek Zeidler herausgegeben, handelt von „Psychologen in autoritären Systemen„. In 16 Biografien werden ganz unterschiedliche Umgangsformen mit dem Druck autoritärer Regime vorgeführt – eine Art „angewandte Persönlichkeitsforschung“.
Theo Herrmann war für mich als Student eine Orientierungshilfe: sein 1969 erschienenes „Lehrbuch der empirischen Persönlichkeitsforschung“ (ich hatte es als junger Student an der Uni Trier als billigen Nachdruck erworben) hat mir eine Welt der Persönlichkeitspsychologie erschlossen, die ich aus meinen Basler Studententagen nicht kannte. In Basel gab es (anfangs der 1970er Jahre – Ordinarius war damals Hans Kunz, Victor Hobi der spätere Extraordinarius) von Philipp Lersch den „Aufbau des Charakters“ und verwandte Schriften zu lesen – das war nicht uninteressant, aber eben unempirisch. Theo Herrmann zeigte, dass und wie man es anders machen konnte.
1976 erschien Theo Herrmanns Buch „Die Psychologie und ihre Forschungsprogramme“, in dem er die neuesten Entwicklungen im Bereich kritisch-rationaler Wissenschaftstheorie auf die Psychologie bezog. Seine wissenschaftstheoretische Standortbestimmung fand ich damals sehr hilfreich und finde das auch heute noch. Seine Unterscheidung in Typ A- und Typ B-Forschung (Domänen bzw. Paradigmen) wird immer noch in meiner Vorlesung zur Erkenntnistheorie vorgestellt.
Später hat er mich mit seinem 1979 erschienenen Buch „Psychologie als Problem“ angesprochen – eine Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen Grundlagen und Anwendungen unseres Faches, aber auch eine Diskussion ethischer Verpflichtungen, die für unser Fach gelten sollten. Das ist auch heute noch hilfreich.
Das 1974 von ihm herausgegebene Werk „Dichotomie und Duplizität: Grundfragen psychologischer Erkenntnis. Ernst August Dölle zum Gedächtnis“ zeigt seine besondere Art des Humors: Ein ganzer Band mit Beiträgen bekannter Autoren zur (fiktiven) Figur des Ernst August Dölle, die sogar – nach einigem Hin-und-Her, an dem ich nicht ganz unbeteiligt war -, einen Platz in der Wikipedia gefunden hat, obwohl die Geburtsurkunde nicht vorgelegt werden konnte.
Herrmanns Arbeiten zur Sprachpsychologie sind zahlreich. Hervorheben möchte ich das 1994 erschienene, mit Joachim Grabowski verfasste Werk „Sprechen – Psychologie der Sprachproduktion“, in dem die Mannheimer Regulationstheorie vorgestellt und diskutiert wird. Interessante Anwendungsbeispiele (Wegbeschreibungen, Sprache am Telefon und am Anrufbeantworter, Zweitspracherwerb etc.) verdeutlichen den Alltagsbezug der sprachpsychologidschen Überlegungen. 2005 erschien dann unter dem Titel „Spache verwenden“ noch einmal eine kompakte und lesenswerte Darstellung seiner sprachpsychologischen Erkenntnisse.
Die Verbindung nach Heidelberg war durch die Freundschaft zwischen ihm und unserem Heidelberger Kollegen Carl Friedrich Graumann gegeben: gemeinsam haben beide den SFB 245 „Sprache und Situation“ initiiert und geleitet, der von 1989 bis 1996 viele Wissenschaftler attrahiert und interessante Ergebnisse zutage gefördert hat. Beide – Graumann und Herrmann – waren schon Jahre zuvor Präsidenten der DGPs, Graumann von 1968-1970 und Theo Herrmann von 1970 bis 1972; Herrmann erhielt 1998 die Ehrenmitgliedschaft und wurde 2006 für sein Lebenswerk geehrt.
Nachfolger von Theo Herrmann auf dem Mannheimer Lehrstuhl wurde übrigens mein Freund und Kollege Edgar Erdfelder, der seinen Vorgänger zu vielen Veranstaltungen eingeladen hat und ihn sehr geschätzt hat. Die Achse Mannheim – Heidelberg hat nicht nur früher gut funktioniert 🙂
Ich werde Theo Herrmann in guter Erinnerung behalten und nicht aufhören, seine Ideen in meinen Lehrveranstaltungen weiterzugeben!